Durch die Übersetzung künstlerischer Artefakte wird ein menschlicher Lebensraum entworfen, der durchdrungen ist vom reflexiven, multimedial-tastenden Diskurs erotischer Berührung.
‚leftlovers‘ ist den Gerätschaften gewidmet, die Frau, Mann und all die schönen Geschlechter benutzen können, um ihre erotischen Leiber zu erweitern und in sinnlichem Selbstbezug zu schwelgen. Die „leftlovers“ sind die Übriggebliebenen Dinge eines Liebesaktes, die aber nicht nur benutzt wurden, sondern ebenso aktiv, eben Lovers waren. Die sind Akteure mit einer uralten Tradition, als die sie jetzt hier im Ausstellungsraum angekommen, gescannt und ausgepackt wurden. Die Scans zeigen nicht nur mögliche Nutzungsweisen der Spielzeuge, sie machen vor allem die an den Dingen hängenden Lustgeister sichtbar, die wohl mit dem Öffnen der Kartons verpuffen. Diese Geister sind immer an den Dingen, wenn sie gerade nicht geprüft werden, gerade nicht in den spannungsvoll von Sichtbarkeit und Berührung konstituierten Raum geraten. Unter den Umständen so einer Ausstellung zum Beispiel, wird ihrer Aktivität kein Raum gegeben. Stattdessen wird diese in eine Potentialität überführt, die wir dank moderner Technik und vor allem Kunst ihre Repräsentation und dieser eigenen Präsenz hier verdanken. Es ist ein vorsichtiges erweitern der Objektivität, die uns sonst gebietet, die Potentialität nur in ihren vernetzten Bahnen zu denken.
Es ist also schwer zu sagen, welche Rolle die Lustgeister in den Sachen der Liebe und Lust spielen. Sie können für die sehr unterschiedlichen und vagen Gründe für Akte der Lust stehen. Die Ausstellung beschwört sie nicht, klopft die Spielzeuge nur Schritt für Schritt nach ihnen ab, um ihnen einen Platz in der Wahrnehmung zu geben. Darüber informiert, erkennt man die Ausstellung als verschiedene ineinander verschobene menschliche Praktiken, die, um der Lust beizukommen, den Raum mit ihren eigenen Geräten füllen: Ist das hier eine Ausstellung im Aufbau? Eine Lagerhalle mit „frischer“ Lieferung? Das Archiv eines Museums? Der Ort der Fabrikation? Oder werden hier etwa Pornos gedreht? Immerhin läuft auf der leicht abwaschbaren Plastikfolie ein Video als Projektion in haut und rosafarben, das in Schattenspielen die Spielzeuge im Test mit zwei Händen zeigt. Ungehalten reiben, stubsen und rubbeln die Hände die Teile ins Licht, während eine Art „Stöhnoper“ dazu aus den Boxen schallt. Der Ort des aggressivsten Sichtbarmachens bei gleichzeitiger Unberührbarkeit – die Vitrine – stellt noch weitere Umgangsformen mit den Dildo-Würmern aus: Hier scheinen sie abermals lebendig an der Scheibe zu saugen, aber auch teilweise schon tot vom Tisch zu fallen. Auf dem Boden kringeln sie sich im Sand, der möglicherweise Überrest ihres Ausgrabungsortes ist, sie aber auch nicht am Leben halten kann. In der Vitrine im weißen Licht der Neonröhre, in der totalen Sichtbarkeit also, scheint es den Dingen nicht unbedingt gut zu gehen. Hier werden sie auf ihr Kunstpotential hin geprüft, indem sie auf großen violetten Papierbahnen – als letzte Zeugen des hautfarbenen Spektrums, das den anderen Raum noch gemütlich stimmte – vor dem Weiß der Wand gehalten und mit ihnen zu einem modernen Relief, der sich stets entziehenden Erlösung, verschmelzen. In dem Raum mit der Projektion, den Kartons und Scans wurde vorsichtig, wie in einem Fotolabor, entnommen, was hier schon in den Äther der Sichtbarkeit, in ein Abseits von Fleisch und Berührung überführt wurde. Schaut man genau hin, sieht man allerdings, dass die Dinge in den schönen Reliefs sterben oder schon gestorben sind. Genauso verzweifelt, wie auch genial, scheint diese ästhetische Verdichtung der Würstchen als Reaktion letztlich fehlender Informationen.
Soweit kann man sagen, dass die Ausstellung Berührung in verschiedenen Präsentationsebenen verhandelt und prüft, inwiefern ohne eigentliche Berührung, aber über entsprechende Präsentationsmechanismen trotzdem noch berührt werden kann. Erotische Berührung beweist hier als die immer wabernde Provokation menschlicher Leiber, dass die Affekte nicht seziert werden können und durch ihre Repräsentationen weiter hindurch provoziert: Die erotisch-materielle Affizierung lässt den Lustgarten so bunt sein und bewirkt, dass die „Stöhnoper“ einen anturnt, man die Würmchen spüren und das Licht lecken möchte.
Es stellt sich die Frage, ob die Ausstellung selbst, die den Raum hier zu einer alternativen Realität umgestaltet, eine emphatische Form des Umgangs mit den Geistern/ Affekten/ Potentialen sein könnte. Durch die Übersetzung künstlerischer Artefakte wird ein menschlicher Lebensraum entworfen, der durchdrungen ist vom reflexiven, multimedial -tastenden Diskurs erotischer Berührung.
Am öffentlichsten Platz in der Vitrine, ganz vorne und frontal zur Straße hin, ist noch eine Videoarbeit, die auf einem Fernseher läuft, installiert. Sie dient als eine Art Visitenkarte zur Ausstellung und führt gewissermaßen schon in die gesamte Arbeit ein. Die Arbeit, dem Ruf der archaischen Dinge, dem Ruf nach Berührung folgend, zeigt wieder Hände, die verschiedene vormenschliche Schädel streicheln, sie tastend erforschen. Das Videobild dieser Szenerie wird von einem großen, farbigen Bereich eingefasst, der im Takt seine Farbe wechselt. Mit ihm tun das Teile des Fingernagellacks und der Schädel. So pervers die Sinnlichkeit zwischen Mensch und Vormensch hier anmuten mag, so sehr mag diese „Perversion“ von der hyperpolarisierten Farben übertönt werden. Es entsteht ein klinischer Zustand, der die Berührung in einen weltfremden Ort verfrachtet, wo sie einige entscheidende Nachvollziehbarkeiten verliert: Die Farben auf den Fingern und dem Schädel markieren, wie bei einer Gamut-Warnung, was sowohl der Hand, dem Schädel, als auch den Betrachtern des Videos, an Informationen über die Berührung fehlt. Selbst den beiden Berührenden entzieht sich die Berührung als informatives Dateiformat.
Philip Wiehagen